Im Rahmen der Jahreshauptversammlung des Kreisverbands der Parteifreien/ÜWG im Landkreis Rosenheim wurde ein kommunales Positionspapier auf den Weg gebracht. Einstimmig verabschiedeten die rd. 50 anwesenden Mitgliederinnen und Mitglieder im Dannerwirt zu Flintsbach eine gemeinsame Erklärung, die ab sofort auf der Website des Kreisverbands abgerufen (sh. unten) werden kann.
„Es war Wunsch vieler unserer Bürgermeister, dass wir in diesen für die Kommunen herausfordernden Zeiten ein Eckpunktepapier gestalten und zu aktuellen Themen Stellung beziehen“, erläutert der Kreisvorsitzende Georg Huber (Samerberg). „Die Bürgermeister Christoph Schneider (Neubeuern), Andreas Friedrich (Prien), Simon Frank (Aschau) und Daniel Wendrock (Rott am Inn) haben dann einen Entwurf zusammengestellt, welcher einstimmig angenommen wurde“, so Huber weiter.
Das Papier enthält Aussagen zu den Themenstellungen „Bauen und Wohnen im Landkreis Rosenheim“, „Finanzielle Situation der Gemeinden“, „Demographische Entwicklung und soziale Situation im Landkreis Rosenheim“, sowie zur „generellen Situation der Kommunen“. „Neben eigenen konkreten Lösungsansätzen haben wir auch etliche Forderungen an Land und Bund herausgearbeitet, die die Rahmenbedingungen der Kommunen verbessern könnten“, erklärt Neubeuerns Bürgermeister Christoph Schneider. „Die Kommunen sind eine Vertrauensinstanz der Bürgerinnen und Bürger. Gute kommunalpolitische Arbeit beugt der Politikverdrossenheit vor und führt unmittelbar zu guter Infrastruktur und guter Daseinsvorsorge“, ist sich der Bürgermeister sicher.
Die Parteifreie/ÜWG möchte damit einmal mehr unterstreichen, dass sie sich als Kommunalbewegung versteht und mit sachlichen sowie pragmatischen Ansätzen zum Wohlergehen der Gemeinden beitragen möchte und nicht ideologische Zwänge vertreten muss. Das Positionspapier wird den örtlichen Abgeordneten übersandt.
„Flintsbacher Erklärung vom 08.05.2023“
I. Präambel
Der Kreisverband der Parteifreien und überparteilichen Wählergemeinschaften versteht sich als Zusammenschluss von parteipolitisch unabhängigen Bürgerinnen und Bürger in den Kommunen des Landkreis Rosenheims. Ziel des Zusammenschlusses ist es die Entwicklung des Landkreis Rosenheims und seinen Gemeinden mit kommunalen Mandatsträgern positiv voranzutreiben, die Daseinsvorsorge durch eine zukunftsfähige Infrastruktur zu sichern und die Lebensqualität der Bevölkerung im Raum Rosenheim zu fördern.
Durch die erschwerten Rahmenbedingungen, welche aktuell für den Landkreis und die Gemeinden vorherrschen, blicken die Mitgliederinnen und Mitglieder der Parteifreien/ÜWG nicht ohne Sorge, aber stets verantwortungsbewusst und motiviert in die Zukunft und beschließen anlässlich ihrer Generalversammlung am 08.05. im Dannerwirt in Flintsbach folgendes Positionspapier.
II. Generelle Situation in den Kommunen
Die bayerischen Gemeinden erleben herausfordernde Zeiten: Seit Jahren nimmt die Anzahl der Aufgaben innerhalb der Rathäuser nicht nur permanent zu, sondern wächst auch die Erwartungshaltung der Bevölkerung stetig an und werden die rechtlichen Standards komplexer. Gleichzeitig treffen Entwicklungen wie der Fachkräftemangel die Gemeinden mindestens ebenso wie die Privatwirtschaft. Entwicklungen wie die Energie- und Klimakrise, die Corona-Pandemie, die Wohnungsknappheit und auch die Aufgaben im sozialen Bereich beispielsweise bei der Integration von Flüchtlingen und beim Ausbau von Ganztagesbetreuungen im Bereich der Kinderbetreuung bestimmen den Arbeitsalltag der Bediensteten in den kommunalen Einheiten zusätzlich zum Tagesgeschäft und fordern das Personal vor allem in kleinen Gemeinden immens. Etliche Gemeinden haben bereits heute die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit erreicht.
Die Parteifreie/ ÜWG erkennt all diese Herausforderungen an und sieht auch eine Verantwortung der Kommunen in diesen Aufgabenstellungen: Interkommunale Ansätze und eine partnerschaftliche, sowie lösungsorientierte Zusammenarbeit zwischen Landkreisverwaltung und Gemeindeverwaltungen mit Blick auf das Wohl des Bürgers sind von der Parteifreie/ÜWG angestrebte Konstellationen. Ungeachtet davon werden die übergeordneten Behörden wie Land und Bund aufgefordert sich bei deren Beschlüssen zur Gesetzgebung in enge Abstimmungen mit den Kommunen zu begeben und durch die Entscheidungen die Leistungsfähigkeit der Gemeinden nicht weiter zu beschränken und die Rahmenbedingungen für das Personal nicht zu verschlechtern.
III. Bauen und Wohnen im Landkreis Rosenheim
Der Siedlungsdruck im Landkreis Rosenheim ist immens. Durch den hohen Freizeit- und Arbeitswert in der Region ist der Raum Rosenheim attraktiv und löst einen extremen Druck auf die Bodenrichtwerte aus. Die Knappheit an bezahlbaren Wohnraum, aber auch der Mangel an bezahlbaren Gewerbeflächen stellt für die Gemeinden eine große Herausforderung dar. Deshalb versucht die Parteifreie / ÜWG durch entsprechende Lockerungen in den örtlichen Bauvorschriften und den Bebauungsplänen in ihren Gemeinden die Nachverdichtung im Bestand zu fördern. Große Baugrundstücke, die in der Vergangenheit mit Einfamilienhäusern bebaut wurden, lassen oftmals Neubauten mit mehreren Wohneinheiten und Ergänzungen am Bestand zu. Ebenfalls verschließen sich die Verantwortungsträger der Parteifreie/ ÜWG nicht vor alternativen Wohnformen zum Einfamilien- und Doppelhaus. Genossenschaftlicher bzw. geförderter Geschosswohnungsbau, flexibles Ü60-Wohnen, aber auch Tiny-Häuser, sofern sie ins Ortsbild passen, stellen für die Region ein großes Potenzial dar, auch um dem Fachkräftemangel in den mittleren und unteren Berufsgruppen entgegenzutreten. Die staatlichen Förderungen zur Schaffung von sozialem Mietwohnungsbau müssen aufrechterhalten und gesteigert werden. Da, wo es der Gemeinde gelingt, soll sie selbst die Vermieterrolle einnehmen, alternativ über Durchführungsverträgen im Bauleitplanverfahren mit entsprechenden Regularien wie Mietbenennungsrechten oder Mietpreisdeckelungen aktiv sein.
Ferner könnte der Gesetzgeber durch das Zulassen von mehreren Wohneinheiten in Bestandsgebäuden in Außenbereichen zusätzlich Druck vom Wohnungsmarkt nehmen. Hier bestünde vor allem für viele angestammte Familien die Möglichkeit echte Mehrgenerationenhäuser zu schaffen und auch die nächste Generation in den Heimatorten zu halten. Über die Einführung einer Grundsteuer C oder auch über die Ausweitung und Stärkung von Vorkaufsrechten der Gemeinden beim Erwerb von Grundstücken sollte von Seiten der zuständigen Gesetzgeber ernsthaft beraten und diskutiert werden. Lippenbekenntnisse sind hier nicht ausreichend.
IV. Demographische Entwicklung und soziale Situation im Landkreis Rosenheim
Auch der Landkreis Rosenheim steht vor der demographischen Herausforderung, dass die Gesamtbevölkerung im Durchschnitt immer älter wird. Vor allem die Versorgung der älteren Mitmenschen in der Pflege erscheint sich mehr und mehr zu einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung zu entwickeln, welche Privatunternehmer, der Staat und auch die privaten Haushalte gemeinsam meistern müssen.
Die aktuelle Kostenentwicklung in nahezu allen Bereichen, aber auch die bürokratischen Hürden und langen Verwaltungsverfahren beim Bezirk beuteln die Liquidität von privaten, wie öffentlichen Trägern von Pflegeheimen. Die personelle Situation spannt sich mehr und mehr – auch durch die Rahmenbedingungen, die die Pandemie mit sich gebracht hat – an, Pflegekräfte wechseln ihren Beruf oder sind ausgebrannt.
Es wurden bereits Einrichtungen im Landkreis Rosenheim geschlossen – weitere Betriebe sind in Gefahr! Pflegedienstleister werden unter den aktuellen Umständen auch keine neuen Einrichtungen schaffen. Die Versorgungssicherheit unserer älteren Mitmenschen ist akut gefährdet!
Die Parteifreie / ÜWG des Landkreises Rosenheim ist im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereit Träger von Pflegeheimen (bspw. durch Schaffung von Wohnraum für Personal) zu unterstützen. Unabhängig fordern die Parteifreie / ÜWG die Verantwortlichen auf, die Rahmenbedingungen für die Pflegebetriebe wieder in geordnete Bahnen zu lenken – im Sinne eines menschenwürdigen Alterns in unseren Pflegeeinrichtungen.
Im Bereich der Kinderbetreuung erkennt die Parteifreie / ÜWG natürlich die gesellschaftliche Entwicklung und den erhöhten Anspruch auf Betreuung in Kindertagesstätten und Ganztagsschule an und ist bemüht entsprechende Rahmenbedingungen zu schaffen. Dennoch werden auch in diesem Bereich die Gesetzgeber aufgefordert maßvolle und bezahlbare Standards festzulegen und vor allem das Prinzip der Konnexität bei der Finanzierung der Aufgaben einzuhalten.
Ansonsten zeichnet sich der Landkreis Rosenheim und seine Gemeinden durch eine aktive Bürgergesellschaft aus, die es in ihren Verbänden, Vereinen und Initiativen zu stärken gilt. Gute Rahmenbedingungen für das Ehrenamt in Kultur, Sport, Brauchtum und Sozialen Angelegenheiten sind das Fundament unserer Gesellschaft und fördern das Miteinander. Offenheit und Empathie gegenüber Zuzug, aber auch der feste Blick auf das Brauchtum und Traditionen sind dabei kein Widerspruch.
V. Finanzielle Situation der Gemeinden
Mit Blick auf die zunehmenden Herausforderungen der Gemeinden und dem sehr hohen Investitionsbedarf bei Kindergärten, Schulhaussanierungen, dem Neubau von Kläranlagen, Feuerwehrhäusern und zeitgemäßen Verwaltungen, notwendigen Maßnahmen im Hinblick auf die Energie- und Klimakrise und den gestiegenen Ansprüchen an öffentlichen Leistungen in der Gesellschaft, stehen mehr und mehr Gemeinden vor einer finanziell angespannten Situation. Die Gewerbesteuereinnahmen können durch die wenig verfügbaren freien Flächen oder auch spezielle Rahmenbedingungen in vom Tourismus geprägten Gemeinden nicht unendlich gesteigert werden; die Einnahmen aus der Einkommens- oder Umsatzsteuer sind überschaubar. Viele Förderprogramme decken oft nur Bruchteile an Investitionskosten, in den seltensten Fällen die Folgekosten ab und sind dazu bürokratische Monster, die oft von kleineren Verwaltungen nicht beansprucht werden können. Die pauschalen Zuweisungen wie die Schlüsselzuweisungen und Investitionspauschalen sind seit Jahren nicht mehr nennenswert gestiegen. Unter Berücksichtigung von eigenen Anstrengungen, hohe Kostendisziplin und Handlungsoptionen bei den kommunalen Haushalten, die die Verantwortungsträger der Parteifreie/ÜWG durch beispielsweise sinnvolle Investitionen zur Energieeinsparung und durch interkommunale Kooperationen permanent überprüfen, werden die übergeordneten Ebenen dazu aufgerufen mehr pauschale Zuweisungen an die kommunale Ebene zu leisten. Die Kreisräte und Gemeinderäte sind die Verantwortungsträger vor Ort, die unabhängig von gezielten Förderungen mit langen bürokratischen Verfahren am besten wissen, welche Investitionen in ihren Gemeinden notwendig sind. Dieser Handlungsspielraum bietet zudem die Chance, dass das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Politik leichter zurückgewonnen werden kann, würden Kommunen unbürokratischer und gezielter bzw. in der Abwicklung schneller investieren können.
VI. Konklusion
Die Parteifreie / ÜWG hat das Selbstverständnis einer Kommunalbewegung. Das Einsetzen für die jeweilige Heimatgemeinde und den Heimatlandkreis, um die Daseinsvorsorge und das Zusammenleben vor Ort zu verbessern bereitet Freude. Eine starke kommunale Ebene, die Hand in Hand mit übergeordneten Behörden und Politikern zugunsten der Bevölkerung arbeitet, ist gerade in schwierigen Zeiten ein Garant, um gestärkt in die Zukunft schauen zu können. Diesem Ziel haben wir uns seit jeher verpflichtet und sind bereit, auch in Zukunft Verantwortung für unsere wunderschöne Heimat zu übernehmen.